Die Physik hinter den Rollentrainern – der Einfluss der Schwungscheibe

Die Physik hinter den Rollentrainern – der Einfluss der Schwungscheibe

Rollentrainer oder Smart Trainer von Wahoo, Tacx, oder Elite Cycling, werden gerne durch ihr Gewicht charakterisiert. Dabei heißt es häufig: je höher die Masse der Schwungscheibe, desto besser das Modell. Denn, höheres Gewicht vermittelt ein realistischeres Fahrgefühl. Das ist richtig, aber nur die halbe Wahrheit. Grund für mich tiefer in das Thema einzusteigen und das Geheimnis Schwungscheibe zu lüften.

Inhalt

  1. Kinetische Energie

  2. Wofür brauche ich Energie im System?

  3. Rotationsenergie

  4. Trägheitsmoment

  5. Übersetzung

  6. Fazit

  7. Exkurs: ERG-Modus – ist der Gang egal?

Kinetische Energie

Nicht nur als Radfahrer*innen ist es euch bekannt: Ihr fahrt mit einer bestimmten Geschwindigkeit, hört auf zu treten und rollt noch eine Weile weiter. Grund dafür ist die als kinetische Energie bezeichnete Größe, umgangssprachlich als Schwung bekannt. Ohne Reibung und Steigung würdet ihr ewig weiterrollen. Die kinetische Energie setzt sich aus der Geschwindigkeit der translatorisch bewegten Teile (wie euer Körper oder der Rahmen) und die rotatorisch bewegten Teile (Laufräder, Reifen,…) zusammen.

E kin = E trans + E rot
Die Energie durch Translation kann mit E trans = 1/2 mv² beschrieben werden. Mit der Masse m und eurer Fahrgeschwindigkeit v. Mit höherer Masse und höherer Geschwindigkeit, steigt die Energiemenge. Diese Energie ist im System gespeichert, solange ihr fahrt oder euer Rad rollt. Auf der Rolle fällt die Translationsbewegung und somit die Translationsenergie weg, denn ihr bleibt (hoffentlich) in eurem Wohnzimmer auf der Stelle stehen (v =0 ). Bei alten Wheel-on-Rollentrainern war oftmals die einzige Bewegung durch euer Hinterrad gegeben, das vergleichsweise leicht ist und sich mit einer verhältnismäßig geringen Geschwindigkeit bewegt ( E rot ist verhältnismäßig klein).
Grafik Vergleich Outdoor Rad und Indoor Rad bei der Energiegewinnung

Links: Bewegung beim Draußen-Radfahren. Rechts: Bewegungen beim Rollefahren

Demnach ist bei Wheel-on-Trainern kaum Energie im System gespeichert. Dies macht sich bemerkbar, indem bei der Art von Smart Trainer beim Aufhören des Tretens euer Hinterrad fast sofort zum Stillstand kommt. Die Energie ist durch die Reibung schnell umgangssprachlich aufgebraucht, korrekterweise umgewandelt. In modernen Smart Trainern werden daher Schwungscheiben verwendet, die mehr Gewicht haben, sich schneller drehen und somit mehr Energie im System speichern.

Wofür brauche ich Energie im System?

Wenn ihr im Flachen fahrt, habt ihr eine große Menge Energie im System (hohe Geschwindigkeit). Wenn ihr in die Pedale tretet, ladet ihr lediglich die Energie auf, die ihr benötigen, um das Tempo zu halten. Die Dauer, in der die Muskeln arbeiten muss, ist sehr gering. Bei jedem Tritt in die Pedale werden die Muskeln nur für eine sehr kurze Zeit aktiviert, aber sehr schnell. Die Totstellungen an der Kurbel lassen sich einfacher überwinden.

Fahrt ihr draußen am Berg Fahrrad bleibt ihr schneller stehen, wenn ihr das Pedalieren aussetzt, als im Flachen. Die kinetische Energie wird, wie im Flachen auch, in thermische Energie (Reibung) umgewandelt, zusätzlich muss jedoch auch Energie zur Überwindung der Steigung (potentielle Energie oder Lageenergie) investiert werden. Eure Beine üben während des gesamten Pedalwegs eine viel längere Kraft auf die Pedale aus, auch wenn Ihre Trittfrequenz die gleiche ist wie im Flachen. Anders ausgedrückt: Ihr müsst gleichmäßiger treten und dem System dauerhaft Energie zuführen, um euer Tempo konstant beizubehalten.

Ihr kennt es sicher. Ein realistisches Fahrgefühl am Berg vermitteln alte Wheel-On-Trainer schon recht gut. Es fühlt sich an, als ob man dauerhaft bergauf fährt. Um dieses Gefühl auch im Flachen umzusetzen, also euch einen flüssigen, runden Tritt zu ermöglichen, muss die Rotationsenergie möglichst so weit erhöht werden, dass sie die fehlende kinetische Translationsenergie (ihr und euer Fahrrad bleibt auf der Stelle stehen) ausgleicht. Dies gelingt über die Schwungscheibe.

Um zu verstehen, wie eine z. B. 5-kg-Schwungscheibe, euer mindestens zehnfaches Systemgewicht ersetzen kann, steigen wir etwas tiefer in die Physik ein.

Rotationsenergie

Habt ihr schon mal etwas von der rotierenden Masse gehört? Also die Masse, die sich nicht translatorisch bewegt, sondern sich dreht. Am Fahrrad sind dies Laufräder und Reifen. Die rotierende Masse sagt bei der Beschleunigung mehr aus als die bloße statische. Jedes Schwungscheibe eines Rollentrainers hat eine solche Masse m. Auf der Erde mit einer nahezu gleichbleibenden Gravitation kann man auch von Gewicht sprechen. Bringt man die Schwungscheibe in Bewegung speichert sie Rotationsenergie und dreht sie sich dadurch noch so lange weiter bis sie die Reibung von Luft und Lager zum Stillstand bewegt. Die Rotationsenergie ist wie folgt von der Winkelgeschwindigkeit ω und dem Trägheitsmoment J abhängig.

W Rotation = 1/2 Jω²
Die Winkelgeschwindigkeit ist noch leicht zu verstehen. Sie gibt an, wie schnell sich die Schwungscheibe dreht. Das heißt, wie viel Grad (360° = eine Umdrehung) sie pro Sekunde zurücklegt. Aber was genau ist dieses Trägheitsmoment J?

Trägheitsmoment

Das Trägheitsmoment oder in unserem Fall Massenträgheitsmoment gibt an, wie schwer ein um eine Achse rotierbarer Körper sich beschleunigen lässt. Es ist von der Masse, der Form und Größe des Körpers, in unserem Fall der Schwungscheibe, abhängig.

Um das Ganze nicht zu verkomplizieren, beschränken wir uns bei der Form des Körpers auf einen Zylinder, der um seine Symmetrieachse rotiert. So ist es in den meisten Fällen einer Schwungscheibe bei Rollentrainern auch der Fall. Hierbei ist m die Masse der Schwungscheibe und r dessen Radius und es gilt der Zusammenhang:

J = 1/2 mr²

Beispiel Änderung der Masse

Wir nehmen zwei Laufräder der gleichen Größe, aber unterschiedlichen Gewichts. Eines aus Stahl, eines aus Carbon.

Grafik Vergleich Trägheit Stahl und Carbon Laufrad

  • der Radius der Laufräder ist gleich: r Stahl = r Carbon
  • die Masse des Stahlrads ist höher: m Stahl > m Carbon

💡 Das Trägheitsmoment mit J = 1/2 mr² des Stahlrads ist folglich höher: J Stahl > J Carbon.

💡 Die Energie E Rotation = 1/2 Jω² im System des Stahlrads ist (bei gleicher Winkelgeschwindigkeit folglich höher: E Stahl > E Carbon.

Die Stahlfelge, lässt sich schwerer beschleunigen als die leichte aus Carbon. Die aus Stahl läuft aber länger nach, sobald ihr aufhört zu treten. Ihr müsst mehr Arbeit in das Stahlrad reinstecken, dafür ist anschließend mehr Energie im System.

So weit, so klar. Nun aber ist, wie beschrieben und auch in der Formel sichtbar, nicht nur die Masse der Schwungscheibe, sondern auch der Radius, der sogar quadratisch in die Rechnung eingeht, ein entscheidender Faktor. Wie die Änderung des Radius bei gleichem Gewicht Einfluss auf das Trägheitsmoment hat, sehen wir im folgenden Beispiel.

Beispiel Änderung des Radius

Nehmen wir zwei 5-kg-Schwungscheibe mit einem Radius von 10 cm und 14 cm eines Rollentrainers.

Grafik Vergleich Schwungrad Trägheit

  • der Radius der Schwungscheibe ist unterschiedlich: r1=10cm, r2=14cm
  • die Masse der Schwungschreibe ist gleich: m1 = m2 = 5kg

💡 Das Trägheitsmoment des Schwungscheibe 2 ist fast doppelt so hoch: J2 > J1

J1 = 1/2 x 5kg (10cm)² = 0,025 kg/m²
J2 = 1/2 x 5kg (14cm)² = 0,049 kg/m²

💡 Energie im System der Schwungscheibe 2 ist folglich höher: E2 > E1

Ihr seht, dass der Radius der Schwungscheibe einen großen Einfluss hat. Beim Vergrößern des Radius von 10 cm auf 14 cm bei gleichem Gewicht verdoppelt sich beinahe das Massenträgheitsmoment (und somit der Energie). Anders gesprochen: Wollt ihr die gleiche Energie, also das gleiche Fahrgefühl, der 14-cm-Scheibe mit einer 10-cm-Scheibe bekommen, müsst ihr die Masse der 10-cm-Scheibe von 5 kg auf fast 10 kg anheben.

Übersetzung

Wenn ihr dachtet, mit Masse und Radius der Schwungscheibe wäre das Thema Einflussfaktoren am Rollentrainer erledigt, dann muss ich euch enttäuschen. Einen weiteren Punkt gilt es zu beachten: Die Übersetzung.

Ihr kennt es: Wollt ihr einen Berg hochfahren, schaltet ihr vom großen Blatt auf das kleine. Ihr ändert also das Übersetzungsverhältnis. Ihr müsst nun öfter treten, kommt aber leichter den Berg hoch. Beim Rollentrainer ist es ähnlich. Zwischen Abtrieb eurer Kassette und Schwungscheibe ist bei den meisten Rollentrainern über einen Riemen ein Übersetzungsverhältnis eingebaut. Dieser ist nicht veränderbar, sondern besitzt immer eine definierte Übersetzung. Im Falle des Wahoo KICKR Core ist das große Rad, auf dem der Riemen läuft, und das kleine . Die Übersetzung ist demnach:

i = r1 / r2 = 50cm / 10cm = 5
Grafik Übersetzung Schwungrad und Antriebsrad am KICKR Core
Das heißt: Rotiert ihr eure Kassette und demnach das fest verbundene blaue Rad um eine volle Umdrehung, dreht sich das orangene Rad und demnach die fest verbundene Schwungscheibe in der gleichen Zeit fünfmal um sich selbst. Die Geschwindigkeit eurer Schwungscheibe mit dieser Übersetzung ist demnach fünfmal höher als ohne Übersetzung und somit die Energie ebenfalls fünfmal höher.

Fazit

Rollentrainer oder Smart Trainer nach dem Gewicht ihrer Schwungscheibe einzustufen, ist legitim und ein erster Anhaltspunkt für ihre Klassifizierung. Dennoch sollte ihr euch nicht ausschließlich auf diesen Wert verlassen. Dafür haben die Massenverteilung, wie zum Beispiel durch die Größe der Scheibe und die Übersetzungsverhältnisse zu große Einflüsse. Aus unserer Sicht, die nun über das Thema besser Bescheid wissen, wäre es wünschenswert, wenn Hersteller von Rollentrainern das Trägheitsmoment und das Übersetzungsverhältnis statt dem Gewicht der Scheibe zur Einordnung angeben würden. Da die Radsport-Bevölkerung nicht so gut informiert ist, würde dies vermutlich zu mehr Verwirrung als Aufklärung führen. Viele Modelle weisen jedoch eine ähnliches Baumaß auf, dass ihr bei großen Gewichtsunterschieden der Schwungscheibe oftmals der Masse dieser vertrauen könnt.

Bei Modellen gleichen Gewichts könnt ihr anhand der Geometrie grob abschätzen, welches Modell vermutlich ein realistischeres Fahrgefühl vermittelt. Ansonsten schreibt uns an oder probiert einfach verschiedenen Modelle risikofrei bei euch daheim aus.

Exkurs: ERG-Modus – ist der Gang egal?

Besonders bei Intervallen, aber auch beim FTP wird gerne der ERG-Modus am Rollentrainer eingestellt. Das heißt, eine vorgegebene Wattzahl wird von euch vorgegeben und der Smart Trainer steuert den Widerstand, dass ihr bei jeder Trittfrequenz diese Leistung haltet. Ist es nun egal, in welchem Gang ihr fahrt?
Um es vorwegzunehmen: nein ist es nicht. Mit einem leichten Gang fällt die Drehzahl der Schwungscheibe viel geringer aus als bei einem schweren Gang. Demnach ist die Energie im leichten Gang ebenfalls geringer und euer Fahrgefühl entspricht eher dem am Berg.

Welcher Gang ist nun der Beste für das optimale Ergebnis? Leider lässt sich dies nicht pauschal sagen. Wie anfangs angesprochen und vielleicht von euch selbst erfahren, ist es am Berg einfacher hohe Watt zu treten als im Flachen. Wird die Steigung zu steil, dreht sich das Blatt. Hier wird es schwer einen sauberen, runden Tritt hinzubekommen. Welcher Gang für euch der richtige ist, ist individuell und müsst ihr für euch herausfinden. Vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte.

Tipp: Falls ihr jedoch die Lautstärke für eure Nachbarn geringhalten wollt, rate ich zu einem leichten Gang. Daraus folgt eine geringere Drehzahl der Schwungscheibe und weniger Vibration.

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